Pressemitteilung

Organstreit der AfD-Fraktion gegen den Landtag bleibt ohne Erfolg

Der Verfassungsgerichtshof hat mit einem heute verkündeten Urteil die Anträge der AfD-Fraktion in einem gegen den Landtag von Baden-Württemberg gerichteten Organstreitverfahren als unzulässig beziehungsweise unbegründet zurückgewiesen. Die AfD-Fraktion hatte sich gegen die Ablehnung ihres am 10. August 2016 zusammen mit der damaligen ABW-Fraktion gestellten Antrags auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses „Linksextremismus in Baden-Württemberg“ durch den Landtag sowie gegen die am 28. September 2016 vom Landtag beschlossene Änderung von § 2 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 des Untersuchungsausschussgesetzes (UAG) gewandt, wonach ein von zwei Fraktionen beantragter Untersuchungsausschuss nur einzusetzen ist, wenn - so der Wortlaut der neuen Fassung - deren Mitglieder verschiedenen Parteien angehören. Mit den Organstreitanträgen rügte die AfD-Fraktion die Verletzung der Gleichheit der Fraktionen (Art. 27 Abs. 3 der Landesverfassung).

 

Der Verfassungsgerichtshof hat den gegen die Änderung von § 2 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 UAG gerichteten Organstreitantrag als unzulässig zurückgewiesen, weil er am 9. Mai 2017 nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von sechs Monaten nach der am 10. Oktober 2016 erfolgten Verkündung der Änderung gestellt worden war. Der darüber hinaus gegen die Ablehnung der Einsetzung des Untersuchungsausschusses gerichtete Antrag ist vom Verfassungsgerichtshof als unbegründet zurückgewiesen worden, weil zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Landtags über den Einsetzungsantrag am 10. November 2016 nur noch eine antragstellende Fraktion vorhanden war. Die Mitglieder der ABW-Fraktion waren bereits am 11. Oktober 2016 zur AfD-Fraktion zurückgekehrt. Die Ablehnung des - unabhängig von der Parteimitgliedschaft - jedenfalls zwei Fraktionen voraussetzenden Minderheitenantrags nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 UAG auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses verletzte damit nicht das Gleichbehandlungsgebot.

 

A. Zum Sachverhalt und zum Verfahren:

 

I. Der 16. Landtag von Baden-Württemberg besteht aus 143 Abgeordneten. Nach der Landtagswahl vom 13. März 2016 bildeten die damals 23 der Partei Alternative für Deutschland (AfD) angehörenden Abgeordneten eine Fraktion. Im Streit über die Bewertung bestimmter Aussagen des Mitglieds der Fraktion Wolfgang Gedeon, der aus der AfD-Fraktion austrat und seither fraktionslos ist, kam es zur Spaltung der AfD-Fraktion. 13 Abgeordnete bildeten am 6. Juli 2016 die „Fraktion der Alternative für Baden-Württemberg im Landtag von Baden-Württemberg (ABW-Fraktion)“. Dieser Fraktion gehörten später 14 Abgeordnete an, die alle Mitglieder der Partei AfD blieben. Aufgrund eines Gutachtens von Prof. Dr. Christofer Lenz, Prof. Dr. Martin Morlok und Prof. Dr. Martin Nettesheim vom 25. Juli 2016 ging der Landtag davon aus, dass es sich bei der ABW-Fraktion um eine Fraktion im Sinne von § 17 Abs. 1 LTGO handele. Ein Verbot der Fraktionsspaltung gelte für den Landtag von Baden-Württemberg nicht.

 

Am 10. August 2016 beantragte die damals noch acht Mitglieder umfassende Antragstellerin zusammen mit der ABW-Fraktion die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zum Thema „Linksextremismus in Baden-Württemberg“ (LT-Drs. 16/423). Diesen Antrag stützten sie auf § 2 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 UAG in seiner damals geltenden Fassung. § 2 Abs. 3 UAG in der vom 31. Juli 2012 bis 9. Oktober 2016 geltenden Fassung hatte folgenden Wortlaut:

 

 

„(3) Mit einem Antrag, der bei seiner Einreichung die Unterschriften von einem Viertel der Mitglieder des Landtags trägt oder von zwei Fraktionen unterzeichnet ist (Minderheitenantrag), wird der Landtag zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses verpflichtet. Im Übrigen gelten für Anträge auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses die Vorschriften der Geschäftsordnung.

 

 

 Am 22. September 2016 brachten die Fraktionen GRÜNE, der CDU, der SPD und der FDP/DVP einen Gesetzentwurf in den Landtag ein, mit dem unter anderem in § 2 Abs. 3 Satz 1 UAG nach den Wörtern „von zwei Fraktionen“ die Wörter „, deren Mitglieder verschiedenen Parteien angehören,“ eingefügt werden sollten (LT-Drs. 16/619). Nach der dem Gesetzentwurf beigefügten Begründung sollte im Untersuchungsausschussgesetz klargestellt werden, dass die Verpflichtung zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses auf Antrag von zwei Fraktionen voraussetze, dass die Mitglieder der beiden Fraktionen verschiedenen Parteien angehörten.

 

Hinsichtlich der Zulässigkeit des von der Antragstellerin zusammen mit der ABW-Fraktion gestellten Antrags auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses wurden in der ersten Sitzung des Landtags nach der Sommerpause am 28. September 2016 von allen übrigen Fraktionen Zweifel geäußert (vgl. LT-PlPr. 16, S. 489 ff.). Daher wurde in der gleichen Sitzung vom Landtag beschlossen, den Einsetzungsantrag an den Ständigen Ausschuss zu einer gutachterlichen Äußerung zu überweisen. Der Ständige Ausschuss bat die Landtagsverwaltung am 29. September 2016 um die Erstellung eines Gutachtens hinsichtlich der Zulässigkeit des Antrags sowie zur Pflicht zur Einsetzung des Ausschusses wegen des Minderheitenschutzes nach § 2 Abs. 3 Satz 1 UAG. Darüber hinaus wurde in der Sitzung vom 28. September 2016 unter Verkürzung der Frist nach § 50 LTGO die Erste und Zweite Beratung des oben genannten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Untersuchungsausschussgesetzes (LT-Drs. 16/619) durchgeführt (vgl. LT-PlPr. 16, S. 476, 498 ff.). Dem Gesetzentwurf wurde mehrheitlich zugestimmt (LT-PlPr. 16, S. 505; LT-Drs. 16/665). Das Gesetz wurde am 4. Oktober 2016 ausgefertigt und am 10. Oktober 2016 im Gesetzblatt für Baden-Württemberg verkündet (GBl. S. 561). Es trat nach seinem Art. 2 am Tag der Verkündung in Kraft.

 

Am 11. Oktober 2016 kehrten die Abgeordneten der ABW-Fraktion wieder in die Fraktion der Antragstellerin zurück, so dass danach die ABW-Fraktion nicht länger bestand.

 

Die Landtagsverwaltung kam in ihrem Gutachten vom 11. Oktober 2016 zum Ergebnis, der Antrag sei zwar zulässig. Jedoch sei der Landtag nicht nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 UAG verpflichtet, den Untersuchungsausschuss einzusetzen. § 2 Abs. 3 Satz 1 UAG sei teleologisch dahingehend zu reduzieren, dass ein minderheitengeschützter Antrag in der Variante „unterzeichnet von zwei Fraktionen“ nur dann vorliege, wenn die beiden Fraktionen verschiedene Parteien repräsentierten. Dies ergebe sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm (LT-Drs. 16/730, S. 5 ff.). Der Ständige Ausschuss des Landtags schloss sich in seiner Sitzung vom 13. Oktober 2016 der Rechtsauffassung des Gutachtens der Landtagsverwaltung an (vgl. LT-Drs. 16/730). In der Sitzung des Landtags vom 10. November 2016 wurde der Antrag auf Einsetzung des Untersuchungsausschusses vom Landtag in namentlicher Abstimmung mit großer Mehrheit abgelehnt (vgl. LT-PlPr. 16, S. 821 ff.).

 

 

II. Die Antragstellerin leitete am 9. Mai 2017 beim Verfassungsgerichtshof ein Organstreitverfahren ein. Die Anträge betrafen die Ablehnung der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses (Antrag Ziffer 1) und die Änderung von § 2 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 des Untersuchungsausschussgesetzes (UAG) durch den Landtag (Antrag Ziffer 2). Die Antragstellerin rügte die Verletzung ihres sich aus dem freien und gleichen Mandat ergebenden Anspruchs auf Gleichbehandlung (Art. 27 Abs. 3 LV). Der Landtag trat dem entgegen.

 

III. Mit Beschluss vom 3. Juli 2017 stellte der Verfassungsgerichtshof fest, dass der von der Richterin Reiter mit dienstlicher Erklärung vom 3. Juni 2017 angezeigte Sachverhalt die Besorgnis der Befangenheit begründet. Sie war daher von der weiteren Mitwirkung ausgeschlossen. An ihre Stellte trat ihre Vertreterin (vgl. die Pressemitteilung des Verfassungsgerichtshofs vom 4. Juli 2017).

 

 

B. Zu den Entscheidungsgründen

 

 

Das Organstreitverfahren hat keinen Erfolg.

 

I.          Änderung des Untersuchungsausschussgesetzes (Antrag Ziffer 2)

 

Der gegen die Änderung von § 2 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 UAG gerichtete Antrag Ziffer 2 ist unzulässig.

 

Der Antrag genügt nicht dem in § 45 Abs. 3 VerfGHG normierten Fristerfordernis. Nach § 45 Abs. 3 VerfGHG muss ein Antrag im Organstreitverfahren binnen sechs Monaten gestellt werden, nachdem die beanstandete Handlung oder Unterlassung dem Antragsteller bekannt geworden ist, spätestens jedoch fünf Jahre nach ihrer Durchführung oder Unterlassung. Maßgeblich für den Fristbeginn ist mithin der Zeitpunkt des Bekanntwerdens. Besteht die angegriffene Handlung in dem Erlass eines Gesetzes, beginnt die Frist in der Regel mit der Verkündung. Ausgehend hiervon ist der Antrag Ziffer 2 nicht fristgerecht gestellt worden. Die Frist für den Antrag, der sich gegen den Beschluss des Landtags vom 28. September 2016 über ein Gesetz zur Änderung von § 2 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 UAG wendet, begann spätestens mit der Verkündung des Gesetzes im Gesetzblatt am 10. Oktober 2016. Damit lief die Frist von sechs Monaten jedenfalls am 10. April 2017 ab. Der Antrag im Organstreitverfahren wurde jedoch erst am 9. Mai 2017 gestellt.

 

 

II.         Ablehnung der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses
(Antrag Ziffer 1)

 

Der gegen die Ablehnung der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gerichtete Antrag Ziffer 1 ist zulässig, aber unbegründet.

 

1. Zur Zulässigkeit:

 

a) Die Antragstellerin ist antragsbefugt. Zwar ist das in § 2 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 UAG enthaltene Minderheitenrecht von zwei Fraktionen, die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses verlangen zu können, nicht in der Landesverfassung, sondern nur im einfachen Recht verankert und kann damit grundsätzlich nicht mit einem Antrag nach Art. 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LV durchgesetzt werden. Art. 35 LV verleiht - neben der Landtagsmehrheit - allein der qualifizierten Minderheit von einem Viertel der Mitglieder des Landtags das Recht auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses und damit die Möglichkeit, dieses mit einem Organstreitantrag geltend machen zu können. Jedoch macht die Antragstellerin hinreichend substantiiert die Verletzung des sich aus Art. 27 Abs. 3 LV ergebenden Rechts auf Gleichbehandlung der Fraktionen geltend.

 

b) Hinsichtlich des Antrags Ziffer 1 ist auch die Antragsfrist des § 45 Abs. 3 VerfGHG von sechs Monaten nach Bekanntwerden der beanstandeten Handlung oder Unterlassung gewahrt.

 

Der Antrag der Antragstellerin auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zum Thema „Linksextremismus in Baden-Württemberg“ (LT-Drs. 16/423) wurde vom Landtag in der Sitzung vom 10. November 2016 abgelehnt (vgl. LT-PlPr. 16, S. 821 ff.). Der Organstreitantrag wurde am 9. Mai 2017 und damit innerhalb von sechs Monaten nach der Ablehnung des Antrags gestellt.

 

Entgegen der Meinung des Antragsgegners hat der Ablauf der Frist des § 45 Abs. 3 VerfGHG hinsichtlich des gegen die Änderung von § 2 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 UAG gerichteten Organstreitantrags (Antrag Ziffer 2) keine Auswirkungen auf die Zulässigkeit des gegen den Beschluss des Landtags vom 10. November 2016 gerichteten Organstreitantrags (Antrag Ziffer 1). Die von der Antragstellerin gerügte Verletzung von Art. 27 Abs. 3 LV bei der Auslegung und Anwendung von § 2 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 UAG alter und neuer Fassung kann hinsichtlich der Ablehnung des Antrags auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses inzident geprüft werden, ohne dass Einwände gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser Norm durch die Fristversäumnis für den Antrag gegen den Beschluss zur Neufassung des Gesetzes präkludiert wären.

 

Zwar hat das Bundesverfassungsgericht bezüglich der in § 64 Abs. 3 BVerfGG enthaltenen entsprechenden Frist - soweit ersichtlich lediglich in einem Fall - die Auffassung vertreten, die Verfassungswidrigkeit einer Norm könne in einem Organstreitverfahren auch inzident nicht mehr geltend gemacht werden, wenn der betreffende Antragsteller den Normbeschluss nicht rechtzeitig unmittelbar mit einem Organstreitverfahren angegriffen habe (vgl. BVerfGE 140, 1 - Juris Rn. 71 bis 75). Jedoch ergibt sich aus § 45 Abs. 3 VerfGHG eine solche Präklusion jedenfalls für den hier zu entscheidenden Fall nicht (entsprechend: VerfGH NRW, Urteil vom 16.5.1995 - 20/93 -, Juris Rn. 44). Dies gebietet auch nicht der Zweck der gesetzlichen Ausschlussfrist des § 45 Abs. 3 VerfGHG, der im Organstreitverfahren angreifbare Rechtsverletzungen nach einer bestimmten Zeit im Interesse der Rechtssicherheit außer Streit stellen will. Denn Gegenstand des Organstreits ist ein Verhalten - hier der Gesetzesbeschluss durch den Antragsgegner. Die Gültigkeit der Norm ist dagegen beim Organstreit - anders als bei der abstrakten Normenkontrolle oder der Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz - nicht Streitgegenstand. Daher kann im Organstreit auch nicht gesetzeskräftig über die Gültigkeit oder Nichtigkeit einer Norm entschieden werden. § 45 Abs. 3 VerfGHG soll nach Ablauf der dort genannten Fristen lediglich bestimmte Handlungen oder Unterlassungen, nicht jedoch Normen als solche dem Streit entziehen.

 

 

2. Zur Begründetheit:

 

Der Landtag hat durch seinen in der 17. Sitzung der 16. Wahlperiode am 10. November 2016 gefassten Beschluss (Plenarprotokoll 16, S. 821 ff.), mit dem der Antrag der Fraktionen ABW und AfD auf Einsetzung und Auftrag des Untersuchungsausschusses „Linksextremismus in Baden-Württemberg“ vom 10. August 2016 (LT-Drs. 16/423) abgelehnt worden ist, nicht das Recht der Fraktionen auf Gleichbehandlung aus Art. 27 Abs. 3 Satz 1 und 2 LV verletzt.

 

a) Alle Mitglieder des Landtages verfügen nach Art. 27 Abs. 3 LV grundsätzlich über die gleichen Rechte und Pflichten. Auch für Fraktionen ergibt sich aus Art. 27 Abs. 3 LV ein Gleichbehandlungsgebot, weil sie Zusammenschlüsse von Abgeordneten sind.

 

b) Das Gleichbehandlungsgebot des Art. 27 Abs. 3 LV wurde hier durch die Ablehnung der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses nicht verletzt. Es lag schon keine Ungleichbehandlung vor. Dabei kann dahinstehen, ob die am 10. Oktober 2016 in Kraft getretene Änderung von § 2 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 UAG, wonach der Antrag von zwei Fraktionen gestellt sein muss, deren Mitglieder verschiedenen Parteien angehören, verfassungsgemäß ist. Selbst wenn - was hier offen bleibt - die einschränkende Voraussetzung der Mitgliedschaft in verschiedenen Parteien in die vor dem 10. Oktober 2016 geltende Fassung von § 2 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 UAG nicht hineingelesen werden dürfte, war der Landtag am 10. November 2016 nicht verpflichtet, den von der Antragstellerin beantragten Untersuchungsausschuss einzusetzen. Bei der Entscheidung des Landtags am 10. November 2016 lag ein qualifizierter Minderheitenantrag im Sinne von § 2 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 UAG nicht mehr vor, weil zu diesem Zeitpunkt nur noch eine der ursprünglich zwei antragstellenden Fraktionen vorhanden war.

 

aa) Einen Anspruch auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses vermittelt § 2 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 UAG nur, wenn der Minderheitenantrag auch zum Zeitpunkt der Entscheidung des Landtags über die Einsetzung noch von zwei Fraktionen getragen wird.

 

Der Wortlaut von § 2 Abs. 3 Satz 1 UAG stellt zwar sowohl in der vor als auch in der nach dem 10. Oktober 2016 geltenden Fassung darauf ab, dass der Antrag „bei seiner Einreichung die Unterschrift von einem Viertel der Mitglieder des Landtags trägt oder von zwei Fraktionen“ unterzeichnet ist. Die Einsetzung des Ausschusses setzt aber notwendig eine Beschlussfassung des Landtags voraus (vgl. Art. 35 Abs. 1 Satz 2 LV, § 2 Abs. 2 UAG). Die Vorschrift ist deshalb so zu verstehen, dass die Unterschriften einer ausreichenden Zahl von Mitgliedern des Landtags oder der beiden Fraktionen „bereits“ bei der Antragstellung vorliegen müssen und dass der Antrag von diesen noch im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Antrag mitgetragen wird (ebenso die Landtagsverwaltung: LT-Drs. 16/730, S. 11 f.).

 

Entsprechend hat der Verfassungsgerichtshof bereits entschieden, dass im Hinblick auf Änderungen des Antrags auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses die Unterstützung der Unterzeichner des Antrags auch noch zum Zeitpunkt der Abstimmung vorliegen muss. Des Weiteren hat der Verfassungsgerichtshof im Hinblick auf die Beachtung des Quorums von einem Viertel der Mitglieder des Landtags nach Art. 35 Abs. 1 Satz 1 LV entschieden, dass selbst noch im Rahmen eines späteren Organstreitverfahrens, in dem von Abgeordneten die Verletzung ihres Rechts aus Art. 35 Abs. 1 Satz 1 LV geltend gemacht wird, mindestens so viele derjenigen Abgeordneten auftreten müssen, die den abgelehnten Antrag gestellt hatten, dass das verfassungsrechtliche Quorum auch noch vor dem Verfassungsgerichtshof erreicht wird.

 

Für dieses Auslegungsergebnis sprechen zudem systematische Erwägungen. So ist für die Beurteilung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit eines Antrags - insbesondere seiner hinreichenden Bestimmtheit - grundsätzlich auf den beschlussreifen, konkret zur Abstimmung gestellten Antrag abzustellen. Eine Änderung des Antrags durch die Mehrheit gegen den Willen der qualifizierten Minderheit ist dabei im Grundsatz unzulässig (vgl. § 3 Abs. 2 UAG). Der Landtag muss zügig über den Einsetzungsantrag entscheiden (vgl. § 2 Abs. 4 UAG). Ob und inwieweit zwischen der Antragstellung und der Entscheidung des Landtags in Kraft tretende Änderungen des Untersuchungsausschussrechts für einen Antrag maßgeblich sein können, bedarf dagegen hier keiner Entscheidung.

 

Darüber hinaus sprechen auch Sinn und Zweck der in § 2 Abs. 3 Satz 1 UAG normierten Voraussetzungen für das hier gefundene Ergebnis. Das Quorum nach Art. 35 Abs. 1 Satz 1 LV dient ebenso wie das Zwei-Fraktionen-Erfordernis des § 2 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 UAG einerseits dem Minderheitenschutz, andererseits der Sicherung der Arbeitsfähigkeit des Landtags. Das durch Gesetz vom 11. Oktober 1993 (GBl. S. 605) eingefügte Zwei-Fraktionen-Antragsrecht sollte qualitativ von vergleichbarem Gewicht sein, wie das Quorum von einem Viertel der Mitglieder des Landtags in Art. 35 Abs. 1 Satz 1 LV. Dementsprechend wurde damals ein Gesetzentwurf der Fraktion Die Republikaner vom Landtag abgelehnt, der das Quorum in § 2 Abs. 3 UAG auf ein Zehntel der Mitglieder des Landtags absenken wollte (LT-Drs. 11/1534, LT-PlPr. 11, S. 1755 ff.). Wenn nun der Einsetzungsantrag zum Zeitpunkt der Entscheidung des Landtags über diesen nicht mehr von einer solchen qualitativen Minderheit des Landtags getragen wird und damit das mit dem begehrten Untersuchungsausschuss verbundene Aufklärungsinteresse einer qualitativen Minderheit nicht mehr gegeben ist, besteht keine Pflicht für den Landtag, den Untersuchungsausschuss einzusetzen.

 

Das Untersuchungsausschussgesetz geht schließlich auch in seinen übrigen Bestimmungen davon aus, dass die einen Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses stellende qualifizierte Minderheit selbst nach der Einsetzung des Untersuchungsausschusses fortbesteht. Denn neben der Mehrheit können nur die in § 2 Abs. 3 Satz 1 UAG genannten qualifizierten Minderheiten die Einberufung einer Sitzung des Untersuchungsausschusses erzwingen (§ 6a Abs. 1 Satz 2 UAG), einen Ermittlungsbeauftragten einsetzen lassen (§ 12a Abs. 1 Satz 1 UAG) und die Erhebung bestimmter Beweise (§ 13 Abs. 2 UAG) sowie eine bestimmte Reihenfolge der Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen (§ 13 Abs. 6 UAG) durchsetzen. Des Weiteren kann ein aufgrund eines Minderheitenantrags eingesetzter Untersuchungsausschuss nach § 22 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 und Abs. 2 Satz 2 UAG nur mit Zustimmung der antragstellenden qualifizierten Minderheit ausgesetzt oder eingestellt werden. Ein ausgesetzter Untersuchungsausschuss muss auf Antrag der qualifizierten Minderheit, die ihn ursprünglich beantragt hatte, vom Landtag wieder aufgenommen werden (§ 22 Abs. 1 Satz 4 Halbsatz 1 UAG).

 

Aus diesen Vorschriften folgt, dass der Landtag nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 UAG nicht zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses verpflichtet ist, wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Einsetzung eine der beiden antragstellenden Fraktionen nicht mehr existiert. Denn sonst wäre der Landtag zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses verpflichtet, in dem die wichtigsten Untersuchungsrechte von keiner qualifizierten Minderheit mehr wahrgenommen werden können und den die Landtagsmehrheit sofort nach der Einsetzung wieder auflösen könnte. Eine solch sinnlose Pflicht kann § 2 Abs. 3 Satz 1 UAG nicht entnommen werden. Bestehen zum Zeitpunkt der Ablehnung des Antrags auf Einsetzung des Untersuchungsausschusses nicht länger zwei diesen Antrag verfolgende Fraktionen, so ist der Landtag ebenfalls nicht länger in einer minderheitsschützenden Entscheidungspflicht, sondern in seinem Abstimmungsverhalten ungebunden.

 

bb) Ausgehend von diesen Vorgaben für die minderheitsschützende Antragsberechtigung kann sich die Antragstellerin nicht auf eine Verletzung ihrer Rechte durch die Ablehnung ihres Antrags berufen. Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Landtags am 10. November 2016 existierte eine der beiden ursprünglich antragstellenden Fraktionen nicht mehr. Die Fraktion der ABW war bereits am 11. Oktober 2016 aufgelöst worden. Ihre Mitglieder waren wieder Mitglieder der Antragstellerin.

 

Der Landtag hat die Ablehnung einer sich aus § 2 Abs. 3 Satz 1 UAG ergebenden Pflicht zur Einsetzung des Untersuchungsausschusses auch auf diesen Grund gestützt. Sowohl der Ständige Ausschuss in seiner Sitzung vom 13. Oktober 2016 (LT-Drs. 16/730, S. 1) als auch die die Ablehnung tragenden Fraktionen in der 17. Sitzung des Landtags vom 10. November 2016 haben auf ein Gutachten der Landtagsverwaltung Bezug genommen (LT-PlPr. 16, S. 821 ff, insbesondere die Abgeordneten Sckerl <GRÜNE> und Dr. Lasotta <CDU>), welches hilfsweise ausgeführt hat, dass ein qualifizierter Minderheitenantrag nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 UAG nur gegeben sei, wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung des Landtags noch zwei antragstellende Fraktionen vorhanden sind. Entsprechend ist in der Plenardebatte ausdrücklich die Geltendmachung des Minderheitenrechts durch die Antragstellerin nach dem Zusammenschluss der beiden antragstellenden Fraktionen in Abrede gestellt worden.

 

1 GR 29/17

 

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