Pressemitteilung

Befangenheit eines Mitglieds des Verfassungsgerichtshofs in Organstreitverfahren mit der AfD-Fraktion

Der Verfassungsgerichtshof hat gestern entschieden, dass hinsichtlich der Richterin des Verfassungsgerichtshofs Reiter wegen ihrer Tätigkeit als Büroleiterin für einen Abgeordneten der AfD-Fraktion die Besorgnis der Befangenheit in den Organstreitverfahren „AfD-Fraktion gegen Landtag“ und „MdL Dr. Fiechtner gegen AfD-Fraktionbesteht. Sie ist damit an der Mitwirkung in den genannten Verfahren ausgeschlossen. An ihre Stelle tritt ihre Vertreterin.

 

Das zur Gruppe der juristischen Laien (Art. 68 Abs. 3 Satz 1 LV) gehörende Mitglied des Verfassungsgerichtshofs Rosa-Maria Reiter hat in den Organstreitverfahren 1 GR 29/17 und 1 GR 35/17 (zu den Verfahren vgl. die Pressemitteilung des Verfassungsgerichtshofs vom 9. und 24. Mai 2017) mit einer dienstlichen Erklärung vom 3. Juni 2017 angezeigt, dass sie als Büroleiterin des Abgeordneten der AfD-Fraktion Hans Peter Stauch beschäftigt ist. Daraufhin hat sie der Antragsteller im Verfahren 1 GR 35/17 wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.

 

Im Verfahren 1 GR 35/17 hat der Verfassungsgerichtshof nach schriftlicher Anhörung der Beteiligten am 3. Juli 2017 beschlossen, dass die Ablehnung der Richterin Reiter durch den Antragsteller begründet ist und dass der von ihr mit dienstlicher Erklärung vom 3. Juni 2017 angezeigte Sachverhalt die Besorgnis der Befangenheit begründet (§ 12 VerfGHG). Im Verfahren 1 GR 29/17 hat der Verfassungsgerichtshof nach schriftlicher Anhörung der Beteiligten gleichfalls beschlossen, dass der von der Richterin Reiter mit dienstlicher Erklärung vom 3. Juni 2017 angezeigte Sachverhalt die Besorgnis der Befangenheit begründet. Dies ergibt sich in beiden Verfahren im Wesentlichen aus Folgendem:

 

Die Richterin Reiter ist für das Mitglied des Landtags Stauch in Teilzeit als dessen Büroleiterin beschäftigt und als solche nicht nur mit Büroorganisation, sondern auch mit der Recherche, dem Erarbeiten von Reden und Entscheidungsvorlagen sowie der Führung zweier Mitarbeiter beauftragt. Damit hat sie Anteil an der politischen Meinungsbildung des Abgeordneten.

 

Ein solches Arbeitsverhältnis setzt typischerweise ein nicht unerhebliches Maß an politischer Übereinstimmung und Vertrauen voraus. Von der Erforderlichkeit eines besonderen politischen Vertrauensverhältnisses eines Landtagsabgeordneten zu seinem persönlichen Mitarbeiter und von einem davon abhängenden Fortbestand des Beschäftigungsverhältnisses zwischen beiden geht die Landesverfassung aus. Darüber hinaus besitzen die Mitarbeiter eines Abgeordneten zum Schutz der Tätigkeit des Abgeordneten wie dieser ein von Art. 39 Satz 2 LV geschütztes Zeugnisverweigerungsrecht über Wahrnehmungen, die sie anlässlich ihrer Mitarbeit gemacht haben. Über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts muss der Abgeordnete und nicht der Mitarbeiter entscheiden. Gleichzeitig besteht für die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs jedoch eine gesetzliche Auskunftspflicht über Umstände im Sinne von § 12 VerfGHG. Dies kann einen Interessenkonflikt zwischen der Tätigkeit als Mitarbeiter eines Mitglieds des Landtags und der Mitgliedschaft im Verfassungsgerichtshof begründen und eine nicht näher aufklärbare Quelle für mögliche Zweifel an der Befangenheit eines Mitglieds des Verfassungsgerichtshofs sein.

 

Vor diesem Hintergrund ist jedenfalls bezüglich eines Mitglieds des Verfassungsgerichtshofs, das zugleich in leitender Funktion Mitarbeiterin oder Mitarbeiter eines Abgeordneten ist, davon auszugehen, dass aus der Sicht eines verständigen Dritten Anlass zu Zweifeln an der Unvoreingenommenheit des Mitglieds besteht, wenn der Abgeordnete selbst oder dessen Fraktion unmittelbar an einem Organstreitverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof beteiligt ist. Zweifel daran, ob ein Mitglied des Verfassungsgerichtshofs seiner Kontrollfunktion noch nachgehen kann, sind umso eher angebracht, je maßgeblicher das betreffende Mitglied des Verfassungsgerichtshofs an der Tätigkeit des Abgeordneten teilhat.

 

Die im Verfahren 1 GR 35/17 streitigen Maßnahmen betreffen zudem einen Meinungsstreit oder Machtkampf innerhalb der AfD-Fraktion. Schon deshalb bestehen Zweifel, ob die Richterin Reiter in diesem Verfahren einen unparteiischen und von dem Abgeordneten oder dessen Fraktion unabhängigen Standpunkt einnehmen kann. In dem Verfahren ist zudem deutlich geworden, dass die Fraktion der AfD von ihren Abgeordneten nachdrücklich verlangt, dass sich deren persönliche Mitarbeiter auch gegenüber der Fraktion loyal verhalten. So wurde der Antragsteller von der Fraktion aufgefordert, einen persönlichen Mitarbeiter zu entlassen, weil dieser sich gegenüber der Fraktion nicht loyal verhalten habe.

 

Auch im Verfahren 1 GR 29/17, das keinen fraktionsinternen, sondern einen Streit mit der Landtagsmehrheit über die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses betrifft, kann aufgrund der Tätigkeit für einen Abgeordneten der antragstellenden Fraktion im Organstreitverfahren ein Loyalitätskonflikt nicht ausgeschlossen werden.

 

Zum weiteren Inhalt der Begründung wird auf die Beschlüsse vom 3. Juli 2017 verwiesen. Sie sind auf der Homepage des Verfassungsgerichtshofs veröffentlicht.

 

1 GR 29/17
1 GR 35/17

http://verfgh.baden-wuerttemberg.de/de/entscheidungen/

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