Pressemitteilung

Staatsgerichtshof weist Feststellungsanträge der SPD-Fraktion sowie von 37 Abgeordneten des baden-württembergischen Landtags zurück

Die Ablehnung des Antrags auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zum Erwerb von Kunst- und Kulturgütern des Hauses Baden durch den Landtag verstößt nicht gegen die Landesverfassung.

Der Staatsgerichtshof hat in seinem heute verkündeten Urteil die Anträge der SPD-Fraktion (Antragstellerin Ziff 1) sowie von 37 Mitgliedern dieser Fraktion (Antragsteller Ziff 2) zurückgewiesen. Der Landtag von Baden - Württemberg hat nicht gegen die Landesverfassung verstoßen, als er am 14.12.2006 den Antrag von 35 Mitgliedern der Fraktion der SPD sowie der Fraktion der SPD selbst auf Einsetzung und Beauftragung des Untersuchungsausschusses „Das Handeln von Landesregierung und Landesbehörden beim Erwerb von Kunst- und Kulturgütern aus dem vermuteten oder tatsächlichen Eigentum des Hauses Baden“ (LT-Drucks. 14/577) ablehnte.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:


I. Der Antrag der SPD-Fraktion (Antragstellerin Ziff. 1) ist zulässig, aber nicht begründet.

1. Der Staatsgerichtshof hat die Antragsbefugnis der SPD-Fraktion bejaht.

Entscheidend war, dass der von ihrer Vorsitzenden für die Fraktion gestellte Antrag sowohl bei der Stellung des Einsetzungsantrags wie auch bei der Einleitung des Organstreitverfahrens von so vielen Fraktionsmitgliedern unterstützt worden war, dass jeweils das Quorum des Art. 35 Abs. 1 Satz 1 LV (ein Viertel der Mitglieder des Landtags, hier 35 Abgeordnete) erreicht wurde.

2. Der zulässige Antrag wurde als unbegründet abgewiesen, weil die Ablehnung des beantragten Untersuchungsausschusses durch den Landtag rechtmäßig war.

Das Parlament hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, die verfas-sungsrechtliche Zulässigkeit eines Einsetzungsantrags zu prüfen und einen mit der Verfassung nicht zu vereinbarenden Antrag abzulehnen. Der Kernbereich der Exekutive schließt einen auch von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen grundsätzlich nicht ausforschbaren Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich der Regierung ein. Dazu gehört die Willensbildung der Regierung, sowohl hinsichtlich der Erörterungen im Kabinett als auch bei der Vorbereitung von Kabinetts- und Ressortentscheidungen. Die Kontrollkompetenz eines Parlaments gegenüber der jeweiligen Regierung bezieht sich grundsätzlich nur auf bereits abgeschlossene Vorgänge und enthält nicht die Befugnis, in laufende Verhandlungen und Entscheidungsvorbereitungen einzugreifen. Zudem darf ein Einsetzungsantrag nicht von unzutreffenden tatsächlichen Annahmen geprägt, und er darf auch nicht unbestimmt sein.

a) Ausgehend von diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben kam der Staatsgerichthof nach einer ins Einzelne gehenden Prüfung zu der Auffassung, dass die unter A I. des Einsetzungsantrags aufgeführten Fragen  insgesamt nicht Gegenstand eines Untersuchungsausschusses sein können. Ein zulässiges Untersuchungsthema war schon deswegen nicht gegeben, weil eine „Übereinkunft“ (oder eine „Vereinbarung“) mit dem Haus Baden entgegen der Grundannahme dieser Fragen noch nicht zustande gekommen war. Zu dem für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Landtags über den Antrag (14.12.2006) lag überdies noch kein abgeschlossenes Regierungshandeln vor, das Gegenstand eines Untersuchungsausschusses hätte sein können. Insbesondere hatte die Landesregierung - entgegen der den Einsetzungsantrag prägenden Annahme der Antragsteller - in ihrer Sitzung vom 09.10.2006 noch keine abschließende Entscheidung über eine Vereinbarung mit dem Haus Baden getroffen. Auch könnte die Handlungsfähigkeit der Regierung bei den noch nicht abgeschlossenen Verhandlungen mit dem Haus Baden durch einen parallel tagenden Untersuchungsausschuss erheblich beeinträchtigt werden. Ferner bestehen hinsichtlich der Bestimmtheit der Fragen Bedenken.

b) Entsprechendes gilt für die Fragen unter A III. des Einsetzungsantrags. Soweit hier nach rechtlichen Grundlagen gefragt wird, sind die Antworten im Übrigen offenkundig.

c) Zulässig sind einige der unter A II. aufgeführte Fragen. Soweit nach dem Gutachten der Autoren Würtenberger/Wax gefragt wird, liegt ein Verfahrensschritt vor, der ungeachtet der noch laufenden Verhandlungsphase und unabhängig von der noch ausstehenden abschließenden Entscheidung des Ministerrats beurteilt werden kann. Zulässig ist auch die Frage zu den in der Vergangenheit aufgewendeten Mitteln für die Restauration und den Erhalt der Kunst- und Kulturgüter unter A II. 5.

Die Zulässigkeit einiger Fragen unter A II. führt aber nicht zu einer (Teil-) Rechtswidrigkeit des ablehnenden Beschlusses des Landtags. Für die parlamentarische Mehrheit besteht keine verfassungsrechtliche Pflicht, einen teilweise unzulässigen Minderheitenantrag durch Änderungen oder Streichungen zulässig zu machen. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn die unzulässigen Teile eines Einsetzungsantrags gegenüber den zulässigen Fragen von so untergeordneter Bedeutung wären, dass eine Gesamtablehnung des Antrags als rechtsmissbräuchlich angesehen werden müsste.

Die unzulässigen Teile des Antrags der SPD-Fraktion überwogen die zulässigen Aspekte (Teile des Komplexes A II.) bei Weitem. In diesem Fall ist die Mehrheit nicht verpflichtet, den Antrag durch erhebliche Streichungen zulässig zu machen und auf diese Weise einen Untersuchungsausschuss zu ermöglichen. Vielmehr wäre der Mehrheit eine zustimmende Entscheidung zu einem wesentlich geänderten Einsetzungsbegehren gerade auch mit Rücksicht auf die Rechte der parlamentarischen Minderheit untersagt. Diese ist nicht gehindert, ein Einsetzungsbegehren in abgeänderter Form oder zu einem nach den Grundsätzen der Entscheidung zulässigen Zeitpunkt erneut im Landtag einzubringen.


II. Der Antrag der 37 Mitglieder der SPD-Fraktion (Antragsteller Ziff. 2) ist unzulässig.

Antragsbefugt im Organstreit vor dem Staatsgerichtshof ist, wer geltend machen kann, durch die angegriffene Handlung in einem ihm durch die Verfassung gewährten Recht verletzt oder unmittelbar gefährdet zu sein. Das hier geltend gemachte Recht auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses steht nach Art. 35 Abs. 1 Satz 1 der Landesverfassung einer Gruppe von Abgeordneten zu, die mindestens ein Viertel der Mitglieder des Landtags, derzeit also 35 Abgeordnete, umfassen muss.

In ihren Rechten verletzt können nur diejenigen Abgeordneten sein, die den Einsetzungsantrag im Landtag gestellt hatten. Zwar hatten 35 Abgeordnete den Einsetzungsantrag im Landtag unterstützt, aber nur 34 dieser Abgeordneten hatten sodann den Organstreitantrag beim Staatsgerichtshof eingereicht. Ein Abgeordneter der ursprünglichen Gruppe hatte den Antrag beim Staatsgerichtshof nicht stellen wollen. Damit war das Quorum bei der Einreichung des Organstreitantrags nicht mehr erreicht.

Die abweichende Entscheidung dieses Abgeordneten wurde von den Antragstellern im gerichtlichen Verfahren zunächst nicht offen angesprochen. Da der Organstreitantrag von drei weiteren Abgeordneten, die den Einsetzungsantrag beim Landtag nicht gestellt hatten, unterzeichnet worden war, hatte sich auf den ersten Blick eine für das Quorum ausreichende Zahl von Abgeordneten am Organstreit beteiligt. Der Staatsgerichtshof hat nun entschieden, dass jene drei Abgeordneten, die den Einsetzungsantrag nicht gestellt hatten, durch dessen Ablehnung nicht in ihren Rechten verletzt sind und damit auch der den Antrag stellenden Gruppe von 34 Abgeordneten nicht zur Antragsbefugnis verhelfen konnten.

Aktenzeichen: GR 2/07

Anlage

Der Antrag der Fraktion der SPD vom 21.11../04.12.2006 (Drs. 14/577) hat folgenden Wortlaut:

„Der Landtag wolle beschließen, einen Untersuchungsausschuss gemäß Artikel 35 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg einzusetzen

A    mit dem Auftrag, unter Hinzuziehung aller Akten, die für die Erfüllung des Untersuchungsauftrags von Bedeutung sind, folgende Aspekte und Vorgänge zu untersuchen:

I.    Das Verhalten von Landesregierung und Landesbehörden im Zusammenhang mit einer Übereinkunft mit dem Haus Baden über den Erwerb von Kunst- und Kulturgütern, insbesondere

1.    Auf welche Kunst- und Kulturgüter im Einzelnen und zwar aus folgenden Provenienzen

1.1    Kunstgegenstände in der Badischen Kunsthalle Karlsruhe
1.2    Schriftgut in der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe
1.3    Kunstobjekte aus dem Schloss Salem
1.4    Sakralobjekte aus dem Münster Salem
1.5    Sonstiges Kunstvermögen beim Hause Baden
1.6    Sonstige Kunstobjekte der gemeinnützigen Stiftung Schloss Salem
1.7    Wessenberg’sche Gemäldesammlungen im Rosgartenmuseum in Konstanz
1.8    Türkensammlung im Badischen Landesmuseum in Karlsruhe
1.9    Kopf’sche Kunstsammlung
1.10    Jünke’sche Gemäldesammlung
1.11    Bibliotheksbestände aus der markgräflich badischen Sammlung
1.12    Großherzogliche Münzsammlung im Badischen Landesmuseum in Karlsruhe
1.13    Säkularisationsgut
1.14    Waffen- und Antikensammlung, Baldung-Fenster, Mithras-Portal im Badischen Landesmuseum in Karlsruhe

bezog sich die Übereinkunft zwischen dem Land Baden-Württemberg und dem Haus Baden, die Gegenstand des Kabinettsbeschlusses am 9. Oktober 2006 war und wer auf Seiten der Landesregierung an den Verhandlungen des Landes mit dem Haus Baden beteiligt war, die zu dieser Übereinkunft führten?

2.    Welche Rechtsperson war gemeint, wenn die Landesregierung als ihren Verhandlungspartner „das Haus Baden“ bezeichnet hat?

3.    Wurde (und ggf. auf welche Weise und mit welchem Ergebnis) von Seiten der Landesregierung vor dem Hintergrund der Vermögensinteressen des Landes die finanzielle Situation des Hauses Baden insgesamt geprüft, die Ursache und Ausgangspunkt der gemeinsamen Verhandlungen war?

4.    Welche Verwendungszwecke für die von Seiten der Landesregierung aufzuwendenden und eingeworbenen Mittel wurden in der Übereinkunft mit dem Haus Baden festgeschrieben und wie wurde sichergestellt, dass die Mittel des Landes oder der Landesstiftung tatsächlich den vereinbarten Verwendungszwecken zufließen werden?

5.    Auf welchen tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen wurden die der am 4. Oktober 2006 vom Ministerpräsidenten erläuterten und am 9. Oktober 2006 vom Kabinett beschlossenen Übereinkunft zugrunde liegenden Gegenstandslisten erarbeitet, welche Gegenstandsliste  war schließlich verbindlich, welches Ministerium war federführend, welche anderen Ministerien und ggf. welche externen Personen und Stellen wirkten daran auf welche Weise mit?

6.    Auf welcher Grundlage beruhte die Beurteilung durch den Herrn Justizminister, der von einem Verhandlungsergebnis sprach und einem ausgehandelten Vertrag, der von Seiten des Hauses Baden bereits unterschrieben sei und ob insoweit Unterlagen über eine entsprechende Mitwirkung insbesondere des Justizministeriums oder auch anderer Stellen vorliegen?

7.    Welche sachlichen und rechtlichen Grundlagen liegen den Summen zugrunde, die in der Übereinkunft der Landesregierung mit dem Haus Baden für die Sanierung der Salemer Liegenschaften (30 Millionen €) und als Kapitalstock der auffangenden Stiftung (40 Millionen €) als notwendig erachtet werden?

II.    Das Verhalten von Landesregierung und Landesbehörden bei den Versuchen, Klarheit über die Eigentumsverhältnisse der infrage stehenden Kunst- und Kulturgüter zu erhalten, insbesondere

  1. Welchen Auftrag hatten die Autoren des Würtenberger/Wax-Gutachtens von der Landesregierung erhalten?
  2. Hat die Landesregierung das Würtenberger/Wax-Gutachten ergebnisoffen in Auftrag gegeben oder im Hinblick auf die umfassende Absicherung der Übereinkunft mit dem Haus Baden und welche Kosten sind durch dieses und ggf. andere in diesem Zusammenhang erstellten Gutachten, Expertisen o. ä. angefallen?
  3. Trifft es vor diesem Hintergrund zu, dass die Äußerung von Herrn Prof. Würtenberger vor dem Finanzausschuss, dieses mögliche Szenario müsste möglicherweise von einem Rechtsgutachten abgefedert werden, sich ausschließlich auf die verhandelte Übereinkunft mit dem Haus Baden bezog bzw. beziehen konnte?
  4. Wurde die Möglichkeit des § 46 Abs. 5 Landeshochschulgesetz geprüft und warum wurde diese Vorschrift nicht genutzt, insbesondere im Hinblick auf die Ergänzung rechtshistorischer Gutachtertätigkeit durch mediävistische, kultur- und kunsthistorische und landeskundliche Expertise?
  5. Ob und in welcher Größenordnung und auf welchen Rechtsgrundlagen hat das Land Baden-Württemberg seit 1980 Mittel für die Restauration und den Erhalt der unter I. 1. angesprochenen Kunst- und Kulturgüter im Einzelnen aufgewendet?
  6. Auf welche Kunst- und Kulturgüter im Einzelnen bezog sich die Wertangabe von 300 Millionen € durch Herrn Wissenschaftsminister Frankenberg und welche Expertisen lagen dieser Wertangabe zugrunde?
  7. Trifft es zu, dass die Landesregierung auf der Grundlage dieser Wertangabe mit dem Haus Baden verhandelte?


III.    Das Verhalten von Landesregierung und Landesbehörden im Zusammenhang mit der materiellen und finanziellen Umsetzung einer Vereinbarung mit dem Haus Baden über den Erwerb von Kunst- und Kulturgütern, insbesondere

  1. Auf welcher sachlichen und rechtlichen Grundlage hat der Ministerrat am 9. Oktober 2006 dem „Drei-Säulen-Modell“ zur Finanzierung zugestimmt?
  2. Auf welcher sachlichen und rechtlichen Grundlage hat die Landesstiftung Baden-Württemberg bzw. ihr Aufsichtsrat in der Sitzung am 17. Oktober 2006 über einen (bis zu) 10-Millionen-€-Betrag entschieden, mit dem das „Drei-Säulen-Modell“ der Landesregierung zum Erwerb der badischen Kunst- und Kulturgüter unterstützt werden soll?
  3. Welche Verabredungen oder Annahmen aus der Übereinkunft mit dem Haus Baden lagen der Ankündigung des Ministerpräsidenten in seiner Eigenschaft als Aufsichtsratsvorsitzender der Landesstiftung am 17. Oktober 2006 zugrunde, nach der im Jahr 2006 zwei Millionen und in den Jahren 2007 und 2008 jeweils vier Millionen Euro zum Erwerb der badischen Kunst- und Kulturgüter zur Verfügung gestellt werden sollen?
  4. Auf welcher rechtlichen und sachlichen Grundlage hat der Ministerpräsident Verhandlungen mit dem Südwestrundfunk geführt, deren Ergebnis angeblich die Zusage von „medialer Unterstützung“ bei der Umsetzung des so genannten „Drei-Säulen-Modells“ war?
  5. Auf welcher sachlichen Grundlage hat sich der Herr Ministerpräsident „zur Rettung badischer Kulturgüter“ an potenzielle Sponsoren und die Bevölkerung gewandt und ein entsprechendes Spendenkonto bei der Landesbank Baden-Württemberg eingerichtet?



B    Der Ausschuss hat dem Landtag über die Untersuchungsergebnisse zu berichten, diese zu bewerten und Vorschläge zu unterbreiten, wie den zu beanstandenden Vorgängen zukünftig vorgebeugt werden kann.

// //