Pressemitteilung

Staatsgerichtshof gibt Feststellungsanträgen der SPD-Fraktion statt

Der Staatsgerichtshof hat in seinem heute verkündeten Urteil den Anträgen der SPD-Fraktion stattgegeben. Sowohl der Finanzminister als auch die Landesregierung haben bei der Finanzierung der Übertragung der Bewährungs- und Gerichtshilfe auf Private das Haushaltsbewilligungsrecht des Landtags verletzt.

Im Jahr 2004 ist im Zuge der Verwaltungsreform die Möglichkeit geschaffen worden, die Aufgaben der Bewährungs- und Gerichtshilfe auf einen freien Träger als Beliehenen zu übertragen. Zunächst wurde in einigen Gerichtsbezirken des Landes vom 01.01.2005 bis 31.12.2006 ein Pilotprojekt durchgeführt, mit dem die Neustart gGmbH betraut wurde. Die landesweite Übertragung für einen anschließenden Zeitraum von zehn Jahren wurde vom Justizministerium im Mai 2006 ausgeschrieben. Die Neustart gGmbH als einziger verbliebener Bewerber gab nach Abschluss der Verhandlungen am 10.11.2006 ihr endgültiges Angebot ab. Der Finanzminister informierte den Landtagspräsidenten mit Schreiben vom 09.11.2006 über den bevorstehenden Zuschlag und seine Absicht, eine für den Vertragsschluss erforderliche außerplanmäßige Verpflichtungsermächtigung in Höhe von bis zu 65 Mio. EUR bereitzustellen; er gehe davon aus, dass der Landtag aufgrund des besonderen Zeitdrucks die Mittel nicht mehr rechtzeitig bewilligen könne. Am 20.11.2006 stimmte der Ministerrat der Erteilung des Zuschlags an die Neustart gGmbH zu und bat das Finanzministerium, die notwendigen haushaltsrechtlichen Voraussetzungen durch Einwilligung in eine außerplanmäßige Verpflichtungsermächtigung zu schaffen. Mit Schreiben vom 29.11.2006 bewilligte das Finanzministerium eine außerplanmäßige Verpflichtungsermächtigung in Höhe von 58 Mio. EUR.

Der Staatsgerichtshof hat dieses Vorgehen beanstandet. Er hat festgestellt, dass damit das Haushaltsbewilligungsrecht des Landtags nach Art. 79 der Landesverfassung (LV) verletzt worden sei; der Finanzminister habe die Grenzen des ihm nach Art. 81 LV zustehenden Notbewilligungsrechts überschritten.

Der Finanzbedarf, der mit der außerplanmäßigen Verpflichtungsermächtigung habe gedeckt werden sollen, sei zwar im Sinne von Art. 81 LV unvorhergesehen, aber nicht unabweisbar gewesen.

Ob ein Bedarf unvorgesehen sei, bestimme sich nach dem Kenntnisstand des Finanzministers im Zeitpunkt des Beschlusses über das zuletzt verabschiedete Haushaltsgesetz. Es komme demnach auf den am 01.12.2005 beschlossenen Nachtragshaushalt zum Staatshaushaltsgesetz 2005/2006 an. Damals habe eine bezifferte Mittelanforderung des Justizministeriums zur Bezahlung des freien Trägers, die Grundlage einer Veranschlagung im Haushaltsplan hätte sein können, noch nicht vorgelegen. Unerheblich sei demgegenüber, ob die Verwirklichung des Projekts als solches vorhersehbar gewesen sei.

Es spreche zwar viel dafür, dass zur Vermeidung organisatorischer Schwierigkeiten ein Vertragsschluss noch im Jahre 2006 dringend geboten gewesen sei. Dessen haushaltsrechtliche Absicherung gerade durch eine außerplanmäßige Verpflichtungsermächtigung sei aber zeitlich nicht unaufschiebbar und demnach der Bedarf nicht unabweisbar gewesen. Bei gehöriger Bemühung seitens des Finanzministers hätte nämlich ein stets vorrangiges Nachtragshaushaltgesetz mit einem entsprechenden Ansatz noch rechtzeitig verabschiedet werden können. Der Finanzminister habe sich in seinem Schreiben vom 09.11.2006 schon angesichts des von ihm selbst betonten gesteigerten Zeitdrucks nicht auf die bloße Anzeige seiner beabsichtigten Vorgehensweise beschränken und sein weiteres Tätigwerden von einer ausdrücklichen Aufforderung des Landtags zur Vorlage eines Entwurfs eines Nachtragshaushalts abhängig machen dürfen. Vielmehr sei er verpflichtet gewesen, einen solchen Entwurf unverzüglich vorzubereiten und diesen von der Regierung einbringen zu lassen. Dieser Entwurf hätte zusammen mit dem Entwurf des Staatshaushaltsplans 2007/2008 vom Ministerrat in seiner Sitzung am 07.11.2006 beschlossen werden können; denn der Entwurf des Staatshaushaltsplans habe bereits auf der Grundlage einer Vollkostenkostenrechnung des Justizministeriums Beträge für die Kosten eines freien Trägers enthalten. Unter Berücksichtigung des in § 47a der Geschäftsordnung des Landtags von Baden-Württemberg (LTGO) geregelten beschleunigten Verfahrens hätte das Gesetzgebungsverfahren noch fristgerecht abgeschlossen werden können.

Da die Landesregierung die von Art. 81 LV nicht gedeckte Vorgehensweise des Finanzministers gebilligt habe, habe auch sie das Haushaltsbewilligungsrecht des Landtags verletzt.

Aktenzeichen GR 1/07

Art 81 LV lautet: „Über- und außerplanmäßige Ausgaben bedürfen der Zustimmung des Finanzministers. Sie darf nur im Falle eines unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnisses erteilt werden. Die Genehmigung des Landtags ist nachträglich einzuholen.“

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