Der Verfassungsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg hat mit heute bekannt gegebenem Urteil vom 31. Juli 2025 in einem Organstreitverfahren einen Antrag der AfD-Landtagsfraktion zurückgewiesen, mit dem diese sich gegen die Nachwahl eines Mitglieds des Verfassungsgerichtshofs am 15. Mai 2024 gewendet hatte.
Sachverhalt
Die Nachwahl eines Mitglieds des Verfassungsgerichtshofs am 15. Mai 2024 durch den Landtag des Landes Baden-Württemberg war erforderlich geworden, nachdem ein von der Antragstellerin im Jahr 2018 vorgeschlagenes und vom Landtag gewähltes Mitglied verstorben war. Auf gemeinsamen Wahlvorschlag der Fraktionen GRÜNE, CDU, SPD und FDP/DVP wählte der Landtag Herrn Rami Suliman zum Mitglied des Verfassungsgerichtshofs. Der von der Antragstellerin vorgeschlagene Kandidat fand hingegen keine Mehrheit. Dagegen wandte sich die Antragstellerin am 14. November 2024 in einem Organstreitverfahren. Ihren Feststellungsantrag begründete sie dahingehend, dass sie sich in einem von ihr angenommenen Vorschlags- und Benennungsrecht verletzt sehe.
Wesentliche Erwägungen des Verfassungsgerichtshofs
Der Antrag ist unzulässig. Die Antragstellerin ist nicht antragsbefugt, weil das von ihr behauptete alleinige Vorschlags- und Benennungsrecht für Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs offensichtlich nicht besteht.
Ausgangspunkt ist die freie Wahl der Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs durch den Landtag mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Die Berechtigung, dem Landtag Wahlvorschläge zu unterbreiten, wird weder in der Landesverfassung noch in der Geschäftsordnung des Landtags ausdrücklich geregelt; in der Staatspraxis stammen die Vorschläge von einzelnen Fraktionen oder mehreren Fraktionen gemeinsam. Einschränkungen der Wahlfreiheit ergeben sich grundsätzlich nur aus Inkompatibilitätsregelungen (gemäß Art. 68 Abs. 3 Satz 6 der Landesverfassung dürfen die Mitglieder weder dem Bundestag, dem Bundesrat, der Bundesregierung noch entsprechenden Organen eines Landes angehören). Im Übrigen überträgt die Landesverfassung grundsätzlich dem einfachen Gesetzgeber die Verantwortung, die Regeln zur Besetzung des Verfassungsgerichtshofs, seiner Funktion als unabhängiges Verfassungsorgan und Teil der Judikative entsprechend, näher auszugestalten, und dem Landtag als Wahlorgan die gleichermaßen verantwortungsvolle Aufgabe, den Verfassungsgerichtshof entsprechend zu besetzen.
Der Antragstellerin steht kein alleiniges Vorschlags- und Benennungsrecht zu, das die Freiheit der Wahl einschränken könnte.
Das Demokratieprinzip erfordert eine solche Einschränkung nicht, weil es eine auf das Volk zurückgehende Legitimation der Bestellung der Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs verlangt, die durch eine freie Wahl durch den vom Volk gewählten Landtag gewahrt ist. Die Freiheit der Wahl stärkt sogar die demokratische Legitimation einer Personalentscheidung.
Auch der Grundsatz der Gleichbehandlung der Fraktionen führt nicht zu einem alleinigen Vorschlags- und Benennungsrecht. Dieser Grundsatz tritt in ein Spannungsverhältnis mit dem Grundsatz der freien Wahl, soweit es um die Besetzung von Gremien geht, in denen das Parlament seine eigenen Aufgaben und Funktionen wahrnimmt und erfüllt. Bei der Wahl der Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs liegen diese Voraussetzungen nicht vor. Der Verfassungsgerichtshof ist ein gegenüber dem Landtag eigenständiges Verfassungsorgan, das der rechtsprechenden Gewalt angehört.
Schließlich besteht auch kein entsprechendes Verfassungsgewohnheitsrecht. Es fehlt bereits an einer ständigen Übung, nach der die von einzelnen Fraktionen benannten Kandidatinnen und Kandidaten entsprechend ihrer Fraktionsstärke an den Verfassungsgerichtshof gewählt werden. Tatsächlich haben Landtagsfraktionen auch in der Vergangenheit ohne einen ihrer Größe entsprechenden Erfolg Kandidatinnen und Kandidaten benannt.
Maßgebliche Rechtsvorschriften
Art. 68 Abs. 3 der Landesverfassung
„Der Verfassungsgerichtshof besteht aus neun Mitgliedern, und zwar
drei Berufsrichtern,
drei Mitgliedern mit der Befähigung zum Richteramt und
drei Mitgliedern, bei denen diese Voraussetzung nicht vorliegt.
Die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs werden vom Landtag auf die Dauer von neun Jahren gewählt. Aus jeder Gruppe ist ein Mitglied alle drei Jahre neu zu bestellen. Scheidet ein Richter vorzeitig aus, so wird für den Rest seiner Amtszeit ein Nachfolger gewählt. Zum Vorsitzenden ist einer der Berufsrichter zu bestellen. Die Mitglieder dürfen weder dem Bundestag, dem Bundesrat, der Bundesregierung noch entsprechenden Organen eines Landes angehören.“