Der Verfassungsgerichtshof für das Land Baden-Württemberg hat mit Urteilen vom 27. Januar 2025 über drei Verfassungsbeschwerden gegen Verurteilungen in Verkehrs Ordnungswidrigkeitenverfahren entschieden. Die angegriffenen Entscheidungen der Amtsgerichte Stuttgart und Ellwangen (Jagst) sowie in einem Fall zudem die Rechtsbeschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf ein faires Verfahren, da den Beschwerdeführern die Einsicht in bei der Bußgeldbehörde vorhandene Daten der Geschwindigkeitsmessung und Unterlagen des Messgeräts, die nicht Teil der Bußgeldakte waren, versagt wurde. Der Verfassungsgerichtshof hat die Entscheidungen aufgehoben und die Sache jeweils zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Sachverhalt
Den Beschwerdeführern wird vorgeworfen, als Kraftfahrzeugführer die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten zu haben. Ihnen wurden deshalb zunächst mit Bußgeldbescheid und anschließend Urteil des Amtsgerichts Geldbußen zwischen 80 und 320 Euro zum Teil mit einmonatigem Fahrverbot auferlegt. Ihre dagegen beim Oberlandesgericht Stuttgart eingelegten Rechtsmittel blieben erfolglos. Während des Bußgeldverfahrens sowie des gerichtlichen Verfahrens begehrten die Beschwerdeführer wiederholt die Übermittlung von bei der Bußgeldbehörde vorhandenen, aber nicht bei der Bußgeldakte befindlichen Messdaten bzw. Wartungs- und Reparaturunterlagen des Messgeräts. Eine Einsicht wurde ihnen nicht bzw. nur unvollständig gewährt.
Wesentliche Erwägungen des Verfassungsgerichtshofs
Die Verfassungsbeschwerden sind, soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens aufgrund der unterbliebenen Einsichtsgewährung in die begehrten Messdaten bzw. Wartungs- und Reparaturunterlagen rügen, zulässig und begründet.
Wie das Bundesverfassungsgericht bereits festgestellt hat, folgt aus dem Recht auf ein faires Verfahren grundsätzlich ein Anspruch auf Zugang zu den nicht bei der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen. Hierbei handelt es sich nicht um eine Frage der gerichtlichen Aufklärungspflicht, sondern der Verteidigungsmöglichkeiten des Betroffenen. Der Beschuldigte eines Strafverfahrens bzw. Betroffene eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens hat neben der Möglichkeit, prozessual im Wege von Beweisanträgen oder Beweisermittlungsanträgen auf den Gang der Hauptverhandlung Einfluss zu nehmen, grundsätzlich auch das Recht, Kenntnis von solchen Inhalten zu erlangen, die zum Zweck der Ermittlung entstanden sind, aber nicht zur Akte genommen wurden. Dadurch werden seine Verteidigungsmöglichkeiten erweitert, weil er selbst nach Entlastungsmomenten suchen kann, die zwar fernliegen mögen, aber nicht schlechthin auszuschließen sind. Die möglicherweise außerhalb der Verfahrensakte gefundenen entlastenden Informationen können von der Verteidigung zur fundierten Begründung eines Antrags auf Beiziehung vor Gericht dargelegt werden. Der Betroffene kann so das Gericht, das von sich aus diese Informationen nicht beizieht, auf dem Weg des Beweisantrages oder Beweisermittlungsantrages zur Heranziehung veranlassen.
Diesen Grundsätzen werden die aufgehobenen Entscheidungen nicht gerecht.